Das Jahr 2019 ist ein Europawahljahr. Am 26. Mai wählen wir in Deutschland unsere 96 Abgeordneten für Straßburg. Das Europawahljahr ist ein guter Anlass genauer auf das Europaparlament zu schauen. In meinen nächsten Folgen werde ich die Europawahl aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten. Für heute mache ich dir den Vorschlag, dass wir uns dem Thema spielerisch nähern.

Ende Dezember erhielt ich eine Einladung der Jungen Europäischen Bewegung Berlin-Brandenburg, kurz (JEB). Die JEB organisiert im Januar und Februar bereits zum 20. Mal die SIMEP.  SIMEP, das steht für Simulation Europäisches Parlament. An zwei Tagen schlüpfen Schülerinnen und Schüler in die Rollen von EU-Abgeordneten.

In dieser Folge lade ich dich ein, mich auf in das Abgeordnetenhaus von Berlin zu begleiten. Dort werde ich mit den Macherinnen und Machern und den Teilnehmer*innen der SIMEP sprechen.

Es ist Freitagmittag 11. Januar kurz nach eins, als ich die mit rotem Teppich ausgelegten Treppen des Abgeordnetenhauses hinaufsteige. Über die Wandelhalle gelange ich zum Plenarsaal. Zu meiner Verwunderung tagen keine SIMEP-Parlamentarier*innen. Einzig die Versorgungsstation in der Wandelhallte verrät mir, dass hier bereits am Morgen Energie benötigt wurde.

Am Vormittag wurde die SIMEP feierlich durch den Schirmherren, Parlamentspräsident Ralf Wieland (SPD) eröffnet. Auch die Bundeskanzlerin grüßte per Videobotschaft die Teilnehmer*innen der 20. SIMEP.

In der Wandelhalle treffe ich meinen ersten Gesprächspartner. Es ist Sebastian Harnika. Sebastian ist Co-Vorsitzender der Jungen Europäischen Bewegung Berlin-Brandenburg. Von Sebastian erfahre ich mehr, was mich und die SIMEP-Politiker erwarten wird.


SIMEP-Präsident, Sebastian Harnika,Foto: Frieder Unselt

Interview mit Sebastian

Dank Sebastian weiß ich nun, dass die SIMEP-Parlamentarier*innen die Köpfe in den Fraktionsräumen zusammenstecken. Von der Wandelhalle gehe ich in die Fraktionsräume der Sozialdemokraten, der Liberalen und der Konservativen.

Dass besondere an der SIMEP ist, dass sie tatsächlich mehr ist als nur eine Simulation. Durch den Besuch von erfahrenen Berufspolitiker*innen bekommen die Diskussionen in den Fraktionen eine besondere Atmosphäre. Die SIMEP-Parlamentarer*innen tauschen sich auf Augenhöhe aus und haben die Möglichkeit bereits verhandelte Zwischenergebnisse einem Reality-Check zu unterziehen. Die erfahrenen Politiker*innen geben neue Impulse sowie Tipps und Tricks für die weiteren Verhandlungen mit. Als stiller Beobachter der Fraktionssitzungen erlebe ich, wie rege der Austausch zwischen den Parlamentarier-Kollegen stattfindet. Viele nutzten auch die Möglichkeit, abseits der SIMEP-Themen, die Berufspolitiker zu verschiedenen Themen und Positionen zu befragen. Europapolitik zum Anfassen.

Besuch von Europaparlamentariern in den SIMEP-Fraktionen. Foto: Frieder Unselt

Nicht nur die Schüler*innen interessieren sich für diese Art der politischen Jugendbildung. Auch der Deutsche Bundestag fördert über das Presse- und Informationsamt die Bildungsarbeit der JEB. Neben der staatlichen Unterstützung erhält die Junge Europäische Bewegung Berlin-Brandenburg auch Unterstützung aus der Zivilgesellschaft. Das Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement, einem der größten nationalen Netzwerk Europas zur Förderung bürgerschaftlichen Engagements, unterstützt die ehrenamtliche Veranstalterin.

Die JEB als gemeinnütziger und unabhängiger Jugendverband, deren meisten Mitglieder Anfang/Mitte zwanzig und nicht älter als 35 sind, wurden in 2013 für ihren Einsatz in der europapolitischen Bildungsarbeit mit dem Europäischen Bürgerpreis ausgezeichnet. Ausgezeichnete Bildungsarbeit von Jugendlichen für Jugendliche also.

Während die SIMEP-Parlamentarier*innen weiter in Fraktionen beraten, hatte ich Gelegenheit Jonathan Weide zu sprechen. Jonathan ist Projektkoordinator der 20. SIMEP. Bei ihm liefen in den letzten Monaten die Fäden zusammen. Nun, da die SIMEP läuft, kann er etwas durchschnaufen. Für mich die beste Gelegenheit, ihm ein paar Fragen zu stellen.

Interview Jonathan Weide, Koordinator der SIMEP.

Projektkoordinator Jonathan Weide. Foto: Frieder Unselt

Und dann klingelt sein Telefon. Seine Mittagspause und mein Interview fanden ein abruptes Ende.

 „Empowern, selbst aktiv werden“ so umschreibt Jonathan den zweiten Auftrag der SIMEP. 

Die nächste Möglichkeit aktiv zu werden bietet der Besuch von Staatsminister für Europa Michael Roth (SPD). Michael Roth ist seit 2013 für das Europa-Dossier im Auswärtigen Amt zuständig. In seiner Rede spannt er den Bogen von seinen ersten, eigenen politischen Erfahrungen bis hin zu den aktuellen europapolitsichen Herausforderungen der Bundesregierung.

Staatsminister für Europa, Michael Roth, MdB. Foto: Frieder Unselt.

Die 20. SIMEP findet in den Wochen der Brexit-Abstimmung im britischen Unterhaus statt. Der Ausgang dieser Debatte und für welchen Brexit das britische Unterhaus votieren würde, war zum Zeitpunkt der Debatte offen. Welchen Brexit wünscht sich die Bundesregierung? Wie geht es weiter als EU27? Waren nur zwei der zahlreichen Fragen der SIMEP-Parlamentarier*innen an den Staatsminister. Fast hatte ich das Gefühl, ich wohne einer Fragestunde der Bundesregierung bei.

Doch die SIMEP ist mehr als nur Frage-Antwort, ist mehr als das Durchspielen von Regierung-Parlament. Die Beobachtung der SIMEP-Parlamentarier lässt vergessen, dass man bei einer Simulation zu Gast ist. Hier geht es um Geben und Nehmen, Kompromisse und Allianzen. Erstaunlich, wie schnell sich die Schüler*innen in ihre neue Rolle einfinden:

Fraktionsberatungen. Foto: Frieder Unselt.

Ein intensiver erster Tag geht gegen 19 Uhr zu Ende.

Informelle Beratungen. Foto: Frieder Unselt.

Der zweite SIMEP-Parlamentstag beginnt dort, wo er gestern endete: mit weiteren informellen Verhandlungen zwischen den Fraktionen. Zur Mittagspause stellten sich dann die Fragen: Werden die geschmiedeten Allianzen bis zur Plenarsitzung halten? Werden die einzelnen Fraktionen zu ihrem Wort stehen?

Junior-Professorin Dr. Ricarda Winkelmann. Foto: Frieder Unselt.

Doch bevor die Aussprache im Plenum stattfindet, steht der Besuch von Juniorprofessorin Ricarda Winkelmann vom Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung an. Ricarda Winkelmann präsentiert neueste Ergebnisse ihrer Forschung und ordnet die neuesten Beschlüsse der Klimakonferenz für die SIMEP-Teilnehmer*innen ein. Wie am Tag zuvor, kommen die SIMEP-Parlamentarier*innen mit der Expertin ins Gespräch und können so  weitere Argumente für die anstehende Sitzung sammeln.

Wir schalten nun live in das SIMEP-Parlament, wo Parlamentspräsident Sebastian Harnika die 20. Sitzung der SIMEP gerade eröffnet hat. Erster Tagesordnungspunkt ist die Aussprache zur „Zukunft der EU“. Die jeweiligen Fraktionssprecher*innen werden im Folgenden die Position ihrer Fraktion vorstellen. Es spricht bereits der Fraktionsvorsitzende der EVP-Fraktion

Soundbite: Plenardebatte

Die Eröffnungsreden der Fraktionsvorsitzenden setzen den Ton der anstehenden Debatte zur Zukunft der EU.

Plenardebatte der XX. SIMEP. Foto: Frieder Unselt.

Wer leidenschaftlich debattiert, braucht auch Stärkung. Ich begebe mich in die Wandelhalle, wo die SIMEP-Betreuer*innen bereits wieder für Getränke und Snacks sorgen.

Hier treffe ich Ricarda Thimm. Ricarda ist Leiterin des Orgateams. Von Ricarda wollte ich wissen, wie viel ehrenamtliche Helferinnen und Helfer die SIMEP unterstüzen.

Interview mit Ricarda.

Während ich mit Ricarda in der Wandelhalle spreche, diskutieren die SIMEP-Abgeordneten im Plenarsaal Änderungsanträge zum Thema „Zukunft der EU“.

Ich nehme mir eine kleine Auszeit von der SIMEP und streife durch das Abgeordnetenhaus.
Das Parlamentsgebäude wurde  1899 feierlich als   eröffnet. Bis zum Ende des Kaiserreichs zogen hier die ausschließlich männlichen Abgeordneten ein. Bis 1918 bestimmte das Dreiklassenwahlrecht die Zusammensetzung des Parlaments.

In der Wandelhalle erinnert derzeit eine Ausstellung an die revolutionäre Situation vor 100 Jahren. 1919 ist der Beginn der Weimarer Republik und mit ihr die Neuregelung der Wahlgesetze. Erstmals konnten in geheimer, direkter und freier Wahl Männer und Frauen wählen und gewählt werden.

Ein Moment in dem für mich Utopie und Realität zusammenkommen.

Der Preußische Landtag ist aber auch Ort der Entdemokratisierung. Während der Nazi-Diktatur diente der Tagungsort der heutigen SIMEP als „Haus der Flieger“, wo einst demokratischer Wettstreit herrschte, ließ Hermann Göring den Plenarsaal entkernen und zum Festsaal umbauen. In einer Diktatur sind Parlamente überflüssig.

Das Gebäude war aufgrund  seiner Lage zwischen Leipziger Straße, Prinz-Albrecht-Straße und Reichsluftfahrtministerium ab 1939 auch Teil des menschenverachtenden Nazi-Terrors. Hier informierte die SS im April 1941 die Gerichtspräsidenten und Generalstaatsanwälte des Reichs über die geplante Ermordung von körperlichen, geistigen und seelisch beeinträchtigten Menschen, besser bekannt als „Aktion T4“.

Nach dem Krieg teilte die Mauer das einstige Terrorquartier. Die DDR nutzte das Gebäude als Orte für den Ministerrat, für die Staatliche Planungskommission und in Teilen auch als Ort für Abhöranlagen der Stasi.

Und heute im Wiedervereinigten Deutschland und Europa?

Seit 1993 ist der preußische Landtag wieder ein Ort der Demokratie. Ich stehe am Fenster und blicke in Richtung Süden auf die Straße. Die ehemalige Prinz-Albrecht-Straße trägt heute den Namen Käthe Niederkrichners, einer kommunistischen Widerstandskämpferin gegen den Nationalsozialismus. Die Straße trägt aber auch die Spuren der deutsch-deutschen Teilung. Mein Blick schweift von den gehissten Flaggen Europas, Deutschlands und Berlins am Boden entlang auf das gegenüberliegende Gebäude. Kurz vor dem Bürgersteig durchbrechen eingelassene Steine die graue Monotonie des Asphalts.

Dieser Ort hat Geschichte. Und dieser Ort erlebt nun, 100 Jahre nach der demokratischen Revolution und mit 30 Jahren der friedlichen deutschen Revolution die längste Phase gleichberechtigten, demokratischen Wettstreits. Damit erfüllt das Haus seinen ursprünglich angedachten Zweck: Der faire Wettstreit um Ideen für ein gutes Zusammenleben. Utopie trifft auf Realität.

Wie ist es denn nun eigentlich SIMEP-Parlamentarier zu sein? Zwischen und nach den beiden Sitzungen treffe ich Teilnehmer*innen in der Wandelhalle des Berliner Abgeordnetenhauses.

Interview der Teilnehmer*innen: Gina, Stephanie, Yamuna, Leopold und Kent

Die SIMEP endet, wie sie begann: mit den Schlussstatements der Fraktionsvorsitzenden. Was nehme ich aus 48 Stunden Simulation Europäisches Parlament mit?


Foto: Frieder Unselt

Mein Fazit der SIMEP

Die Simulation der Jungen Europäischen Bewegung Berlin-Brandenburg versteht es, jungen Menschen eine Bühne zu geben. Innerhalb von wenigen Stunden finden Sie sich in ihre verantwortungsvolle Rolle als Europaabgeordnete*r ein. Sie spielen das Parlament nicht nach, sie leben es. Wer in die glänzenden Augen der Teilnehmer*innen schaut und ihren Frust über gescheiterte Allianzen anhört, der spürt hier viel politisches Potenzial schlummert.

Politik kann in der Schule erlernt werden. Bei der SIMEP wird Demokratie gelebt. Positionen in der Fraktion zu erarbeiten, in Verhandlungen mit Mitgliedern aus anderen Fraktionen zu führen, die eigene Position zu überdenken und Kompromissen anzustreben, scheint aus der Mode gekommen zu sein. Die SIMEP-Parlamentarier*innen geben Nachhilfe, die eigene Echokammer und Meinungsbastion zu überwinden.

Die teils exzellente Rhetorik der Teilnehmer*innen beeindruckt mich bis heute. Wer mit Politik langatmig vorgetragene Sätze, gestotterte Phrasen und im allgemeinen Langeweile verbindet, erlebt bei der SIMEP eine politische Frischzellenkur. Gerade für Parteienvertreter*innen wäre die SIMEP ein Ort, an dem sie interessierten Jugendlichen ein Angebot zum Engagement unterbreiten könnten.

Foto: Frieder Unselt

Nicht nur in den Fraktionen und im Plenum wird Großes geleistet. Die zahlreichen Helferinnen und Helfer sind ein eingespieltes Team. Wie Jonathan sind viele bereits mehrere Male Teilnehmer*innen gewesen, bevor Sie sich das grüne T-Shirt überstreiften und für einen reibungslosen Ablauf der zwei Tage beitragen. Diese Erfahrung als Teilnehmer*innen bereits auf den Stühlen des Abgeordnetenhauses Platz genommen zu haben, zahlt sich aus: Das Angebot von jungen Menschen für junge Menschen kommt auf Augenhöhe daher. Und bei aller Ernsthaftigkeit bleibt der Spaß nicht auf der Strecke.

Wenn du dir selbst ein Bild von der SIMEP machen möchtest, kann sich unter www.simep.eu als Teilnehmerin, Betreuer oder Gast anmelden. Die zweite SIMEP-Runde findet am 22. und 23. Februar 2019 statt.

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Diese Folge wird dir präsentiert von Burak Korkmaz.
Wie ihr wisst, ist Burak der Mann meines Vertrauens, wenn es um grafische Lösungen geht. Burak ist spezialisiert auf Corporate und Editorial Design. Ob Borschüren, Visuals oder animierte Erklärvideos – ich kann euch die Zusammenarbeit bei euren Vorhaben nur empfehlen. Auf seiner Homepage www.burakkorkmaz.de findet ihr zahlreiche Beispiele seiner kreativen Arbeit. Auch der Europaodcast ist dank ihm mehr als nur Sound mit Symbolbild.

Als Ausbilck auf die nächsten SIMEP-Jahre kehren wir zurück zu Jonathan. Von ihm möchte ich wissen, was er sich für die nächsten 20 Jahre SIMEP wünscht.

Mit diesem letzten Interview endet der erste Außeneinsatz des Europapodcasts aus Berlin.

Ich freue mich auf das nächste Mal!

Mit europäischen Grüßen,

Manuel

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S1E2 – SIMEP
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